Mittwoch, 27. Februar 2013

Orwell wäre stolz

Vermutet Frank Meyer in seinem heutigen Artikel »Wenn Politische Korrektheit Amok läuft« wohl völlig zu recht:
Haben Sie das auch gehört? Es gibt immer noch so böse Begriffe wie “arbeitslos”, “alleinerziehend” und auch “Vollkaskomentalität”. Die Worte gehören den Leuten ausgetrieben, geht es nach Ansicht der Experten der Nationalen Armutskonferenz (nak). Dabei handelt es sich nur um drei von 23 bösen (nicht ganz so guten) Worten, um die es die deutsche Sprache dringend zu “entreichern” gälte…

Schon der Begriff “Nationale Armutskonferenz” scheint mir irreführend in Zeiten, in denen der Aufschwung keine Armut mehr zulässt – und schon gar keine nationale… Reichtumskonferenzen finden wo anders statt. Die Forderung nach einer Umettikettierung sozialer und wirtschaftlicher Probleme passen gut in die Zeit des Pferdewahns – und auch gut in den Zeitgeist unserer Familienministerin, harmlose Kinderbücher politisch korrekt umschreiben zu müssen, will man die Kleinen ja modern erziehen.
Wenn es ein Charakteristikum für eingefleischtes Sozentum gibt, dann die Tendenz, durch »schön Sprechen« die Welt retten zu wollen. Der Arbeitslose trägt gleich sein Los viel leichter, wenn man ihn als »jobmäßig herausgefordert« bezeichnet, oder so ...

Wäre das alles bloß die Marotte irgendwelcher Verrückter, die Sprachbehübschung als Hobby betreiben — analog den »Sprachgesellschaften«, die uns schon vor Jahrhunderten beispielsweise für die fremdsprachige »Mumie« den weitaus plastischeren Begriff »Dörrleiche« schmackhaft machen wollte (womit sie allerdings keinen nachhaltigen Erfolg erzielte) —, dann könnte man darüber mit einem amüsierten Achselzucken hinweggehen. Nur: diese gezielte Etablierung eines politisch korrekten Neusprech hat System — und bittere Konsequenz: wer nicht mehr sagen darf, was er denkt, sondern sagen muß, was er noch denken darf, der darf eben nicht mehr denken, sondern nur mehr nachplappern. Das wollen sie damit erreichen! Und so ist Frank Meyers ironischer Schluß:
Ich weiß nicht, ob und welche Tees dort gereicht werden, oder ob da jemand heimlich Zigarren mit verbotenen Flüssigkeiten tränkt, aber ich würde mich nicht wundern, wenn von dort auch noch ein Wahrheitsministerium gefordert würde, das sich um politisch korrektes Neusprech kümmert.

Wer weiß, wann aus dieser ganzen politischen Korrektheit dann Zensur wird. Bald? Es wäre lächerlich, wenn das Wort nicht auch im Giftschrank wohnte. Als was darf man eigentlich diese Bessermacher und Wortmixer in allzu ferner Zukunft bezeichnen? Mir fehlen die Worte.
bei weitem weniger erheiternd, als er sich liest. wer die Schrift an der der Wand zu deuten versteht — und das heißt: wer die Zeichen, die er sieht, noch benennen darf! —, der sieht ein riesengroßes

C E N S O R E D

über alle Meinungsäußerungen gestempelt, die nicht die Approbation des — noch (!) informellen — Wahrheitsministeriums tragen. Orwell wäre  in der Tat stolz. Nicht über das Faktum — das würde ihn wohl zutiefst bedrücken! Aber daß er's schon vor Jahrzehnten vorausgesehen hat ...

7 Kommentare:

quer hat gesagt…

Wenn ich mich recht erinnere, dann begann "Neusprech" ungefähr zu jenem Zeitpunkt, als man den guten alten "Lehrling" abschaffte und zum "Auszubildenden (Azubi)" beförderte.

Seit jener Zeit schwante mir, daß man versuchen würde, über die Sprache Mentalitäten zu verändern und den Geist zu malträtieren.

Seither habe ich in regelmäßigen Abständen (12-18 Monate) Orwells 1984 in die Hand genommen. So bin ich bis heute ständig auf dem Laufenden und kann abschätzen, welche Schritte das virtuelle Wahrheitsministerium als nächste in's Auge fassen wird.

Dabei ist es völlig wurscht, ob man nach Berlin, Wien, oder Brüssel schaut. Das Wahrheitsministerium hat viele Mitarbeiter und Abteilungen. Alle aber dem einen Ziel verpflichtet:
Dem großen Bruder. Denn das ist alternativlos und somit unausweichlich.

Gut, daß man Miteigentümer einer winzigen Insel im EU-Meer ist. Auf dieser Insel gibt es tatsächlich noch Lehrlinge und Lehrtöchter (!). Ja, es gibt da sogar noch Serviertöchter. Man faßt es nicht.

Le Penseur hat gesagt…

@quer:

... Serviertöchter

Heißen die nicht »Saaltöchter«? (Hab' ich wenigstens wo gelesen)

Ein befreundeter Geschäftsmann, der sich etwas »bedient« (wie der Wiener sagt, für Piefkes: »geschafft«) nach einem anstrengenden Flug in die Bar seines Zürcher Hotels setzte, wurde von einer solchen gefragt: »Sind Sie bedient?« Was er als Österreicher recht aufheiternd fand (zumal es sich um eine recht hübsche Saaltochter handelte) ...

P.S.: »Lehrlinge« gibt's auch noch in Österreich. Noch machen wir nicht jeden Blödsinn aus Piefkonistan nach ...

Anonym hat gesagt…

Keine Ahnung, warum immer alle von Sprachregelungen, Orwell, Gleichschaltung oder Zensur reden. Das stimmt doch gar nicht. Nix Gleichschaltung. Im Gegenteil, die EU-Kommission hat empfohlen „die sich rasch verändernde Medienwelt stärker vom Staat überwachen zu lassen, um Pluralismus und Qualität zu wahren.“ So sieht´s doch aus.

Das sollten sich alle mal hinter die Ohren schreiben. Und herabsetzende Äußerungen unterlassen. Wie kommen die nur darauf, EU-Innenkommissarin Malmström als „chinesische Diktatorin“ zu verunglimpfen?
So eine absurde Unterstellung. Man sehe sich die Dame an. Chinesisch? Also, ich weiß ja nicht.

http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/pressefreiheit-eu-berater-wollen-medien-staerker-ueberwachen-12032982.html

http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/eu-kommissarin-malmstroem-ueber-netzsperren-ich-werde-als-chinesische-diktatorin-verunglimpft-1627293.html

Volker hat gesagt…

Keine Ahnung, warum alle von Sprachregelungen, Orwell, Gleichschaltung oder Zensur reden. Gibt´s doch gar nicht. Im Gegenteil, die EU-Kommission hat empfohlen „die sich rasch verändernde Medienwelt stärker vom Staat überwachen zu lassen, um Pluralismus und Qualität zu wahren.“
So sieht´s doch aus.

Ich weiß auch nicht, was der Grund ist für die herabsetzenden Äußerungen über die Hüter der Pressefreiheit. EU-Innenkommissarin Malmström als „chinesische Diktatorin“ zu verunglimpfen, das ist ein starkes Stück. So eine absurde Unterstellung. Man sehe sich die Dame an.
Chinesisch? Also, ich weiß ja nicht.

http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/pressefreiheit-eu-berater-wollen-medien-staerker-ueberwachen-12032982.html

http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/eu-kommissarin-malmstroem-ueber-netzsperren-ich-werde-als-chinesische-diktatorin-verunglimpft-1627293.html

quer hat gesagt…

@le Penseur,

nee, es heißt auf jener Insel tatsächlich "Serviertochter"

Die Frage "sind Sie bedient?" gehört auf eben dieser Insel ebenfalls zum normalen Sprachgebrauch. Zugegeben ungewohnt für deutsche Ohren. Versteht man doch dort unter "ich bin bedient" genau das Gegenteil von besorgter Nachfrage. Nämlich: "Mir reicht's"

In diesem Sinne bin ich von EU, Euro und Wahrheitsministerium schon lange "bedient".

Anonym hat gesagt…

Wenn es ein Charakteristikum für eingefleischtes Sozentum gibt, dann die Tendenz, durch »schön Sprechen« die Welt retten zu wollen.

"schön sprechen" = predigen?

"die Welt retten" = Missionsbefehl?

Sehen Sie im "Sozentum" wirklich eine Konkurrenz bei der Weltenrettung, egal ob die Welt gerettet werden will, oder nicht?

Anonym hat gesagt…

Ganz neu ist diese Idee allerdings nicht, es gab schon 2006 einen vergleichbaren Versuch Neusprech zu etablieren:

http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/articleDQ8WV-1.23766